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München, um 1990

"Interludium"

Zum 100.Geburtstag von Jürgen Fehling am 1.März 1985 erschien ein Buch mit dem Titel "Das Theater des deutschen Regisseurs Jürgen Fehling"; es enthielt Beiträge bekannter Persönlichkeiten hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, aus der Theaterszene, und ein Beitrag darin stammte von Sergiu Celibidache. Dieser Beitrag wird im folgenden vollständig und zeichengetreu wiedergegeben. Es handelt sich dabei um einen Originalbeitrag, den Celibidache eigens für diese Buchveröffentlichung verfaßte.


Interludium

Sergiu Celibidache über Jürgen Fehling

 

Kann die Sprache in ihren feinsinnigsten Wendungen und ohnmächtigsten Windungen etwas von der Bereicherung, die durch die Farben einer emporsteigenden Blume für die ergänzungsdurstige Eingebung entsteht, erfassen?

Kann sie die einmalige Choreographie der Stämme, Äste, Blüten und Blätter in ihren symbolischen Schlingen und Fallstricken festhalten, wenn der Sturm in überschwänglicher Leidenschaft den Wald umarmt?

Steht einer statischen Definition die Fähigkeit zu, etwas von der Magie des immer neu Werdenden, des sich selbst unwiederholbar Schaffenden, des in keinem kausalen Werdegang Stehenden zu berichten ?

Wahrscheinlich nicht.

Das was fließt, kann womöglich Berge wegspülen; Worte kann es kaum naß machen.

Auch Jürgen Fehling wuchs in einer freiheitsdurstigen Eingebung auf und konnte die monotone blinde Gewalt der Dummheit und der Konvention verwandeln und zu schöpferischer Realität werden lassen.

Sein Tätigkeitsfeld war nicht die Bühne; diese Annahme ist eine grobe Versimpelung durch die Statik, die, ihrer Natur nach, nicht fester greifen kann. Die Bühne war nur ein Teilaspekt seiner unfotografierbaren Eigenart. Vor einem Breughelbild oder auf seiner Rückseite zeigte sich, was er zeigen konnte. Das Unsichtbare, das durch seine enormen, liebevollen Augen sichtbar wurde, das Unsagbare, das sich nur durch seine kristallklare Aussprache artikulieren ließ, liegt heute wieder unter dem Schleier der zusammenhaltenden Geheimnisse und summt für die, die noch Gehör haben, das wortlose Lied der Sehnsucht.

Wird alles Lebendige, das er in uns gesät hat, zu starren Gestalten eines gelähmten Gedächtnisses gefrieren ?

Er hoffte es sicherlich nicht, denn er beschäftigte sich mit einer teuflischen Beharrlichkeit mit jedem, der in seinem inneren Heftchen ein unbeschriebenes Blatt mitbrachte. Wer Neid und Bewunderung in sich zu beruhigen wußte, konnte zwischen merkwürdigen Lauten allemal etwas von dem schöpferischen Akt hellhören. Dieser wäre frei von jeder Bindung; vergangenheits- und zukunftsbedingte Affekte sind eine Bedingung der Assoziation, der Imitation, der Gewohnheiten, der Tradition, des Wissens und jeder andren Form, in der Hypotheken auf das Kommende aufgenommen werden.

Fehling war auf der Bühne, im Zuschauerraum und im Leben, heute noch wie früher, ein freier Schöpfer, würde ich schreiben, wenn mich bei der Lektüre nicht das Gefühl der Ohnmacht dieser Formulierung überwältigen würde. Er wußte wie keiner, sich von allen berührenden Kontingenzen auszuschließen und kannte die geheimnisvollen Schritte des wundervollen Tanzes, der »Sich-nicht-erfassen-lassen« hieß, in allen seinen regionalen Varianten.

Die nie zu minder kommende Fülle, vor der die meisten nicht wußten, wie sie sich retten konnten und in lahmer Passivität erstickten, war der eigentliche Grund für die unzähligen falschen und feigen Auslegungen seiner Identität. Der nie auslöschende graueSchimmer der zweibeinigen Sturheit, animierte und animiert das immer blasser werdende Licht der Glühbandwürmchen, das die auf der Weltbühne rezitierenden Gelehrten erleuchtet.

»Wenn Einbildung Realität ist, ist Realität keine Einbildung!«

Das konnte nur Jürgen Fehling sagen. Was wir dazu sagten, war viel kürzer, aber immerhin etwas länger als das, was wir verstanden hatten.

Aber Halt, potentielle Fehling-Verehrer! Bilden Sie sich bitte nicht zu schnell ein, die Realität dieser Aussage erfaßt zu haben.

Probieren Sie noch einmal, ohne zu verzweifeln.

Er allein fand, ohne jemals gesucht zu haben, den Weg zu diesem Himmel der omnipräsenten Inspiration.

Er lebte und schwelgte in zeitloser Üppigkeit. Der stete Ein/all. Der von allen so begehrte launige Einfall kam nicht: Er war einfach da, bedingungs- und absichtslos wie alles, was in der Freiheit entsteht. Das Fortdauern dieser Alchimie, die aus jedem dürren Augenblick das herauszauberte, was die zahme Fantasie in ihren Bann zieht und jedes weitere Grübeln überflüssig machte und so die Entdeckung des Gartens der gegenstandslosen Freude ermöglichte, war für alle, die Augen, Ohren und etwas Sinn für Unsinn hatten, das Unerklärliche an diesem korpulenten geistigen Jongleur.

Wer konnte sich ein Gebiet denken, wo dieser Riese, der kein Zuhause hatte, nicht zuhause war? Und wieviel Sinnvolles kommt davon in die marktsichere Formel  –  »Er war ein universeller Geist«?

Nichts! Nichts ist die falsche Antwort.

Nicht das Wesentliche, die richtige. Er war nicht das Wissen der Gelehrsamkeit; er war das Ahnen des hypothetischen Reichtums des noch Möglichen.

Nicht arm sein auf Grund der Dürftigkeit der anderen; nicht voll sein mit dem Bewußtsein der Leerheit der übrigen.

»Da die Hungrigen es nicht schaffen, laß die Satten über Enthaltsamkeit predigen.«

Wer hat in seiner Nähe oder vor seinem glühenden Blick eine philosophischere Annäherung an das Problem der Stimmbildung der Propheten gewünscht oder eine engagiertere Stellungnahme für deren Heiligsprechung vermißt?

Wir haben einigen Neuren die letzte Ölung gegeben  –  aus Langeweile!

Langeweile? Was sag ich da?

Das war ihm und uns Armseligen, die in seinem Schatten Kühle suchten und fanden, absolut unbekannt.

Auch taube Schriftsteller  –  denn zu dieser Zeit schreiben nicht alle mit den Ohren  –  vermochten nicht aus seinen vielsprachigen Augen die Einmaligkeit seiner Botschaft zu entnehmen, die wie ein Felsen inmitten der ozeanischen Ignoranz stand und mit sich nichts weiter anfangen ließ. So einer muß verrückt sein! plätschert der Ozean in seiner populär rieselnden Mundart. Dieser aus graumelierten Assoziationen geborene müde Gedanke wurde lange in der muffigen Wärme der Spießbürgerlichkeit gebrütet. Kein Wunder, daß Psychiater, diese ehrlichen Finder der Schlüssel, die keiner verloren hat, auf Grund der bestehenden Erfahrungen und Kategorien ihn packten und das Nichtkategorisierbare mitkategorisierten.

Das Befreien eines gefesselten Luftballons hat doch irgendwie, vor allem für höhensüchtige Zwerge, etwas heldenhaftes.

Und wenn das so ist, ist es nicht normal, daß man Zwerge weiterhin für normal klein, ihn für anormal hält?

Mit dem, was ich während dieses unvergeßlichen Gestern war, konnte und wußte, war alles, was von ihm kam und in mir den offenen Resonanzboden fand, nicht nur normal, sondern stellte, durch die von ihm in uns erweckten unfehlbaren Reaktionen, alles andere in Zweifel.

Daß er, in der Euphorie seines ewig neuen Einfalls, dem überforderten links liegenbleibenden Zuhörer keine weitere Aufmerksamkeit schenkte, lag nicht an seinem, die Schranken überfliegenden Geist, sondern an den Schranken.

Von dem, was außerhalb der von ihm selbst gesetzten Schranken da sein kann, kann ein Psychiater nicht leben. Wie soll das honoriert werden ?

Und der Verrückte konnte und wollte es nicht lassen.

»Theater machen und sonstiges kann man mit Rekruten probieren; mit Proleten ist es ausgeschlossen.«

Ja, aber für ihn, mein Herr, sind alle anderen lauter Proleten und für uns selbstbewußte Bürger einer seit langem bestehenden Gesellschaft ist es eigentlich ganz anders. Also wir, die Vielen, die vor ihm da waren und nach ihm viel mehr werden, haben recht; laß doch Proleten entscheiden, was Proleten sind: Laß die Unbegabten, was sie über Unbegabung wissen, vervielfältigen.

Ist das nicht logisch? etwa nicht demokratisch? Wer kann, um Gottes willen, besser wissen, was ein Ungar ist, als die Ungarn? Kaute in der Stille der linke Unterkiefer alleine an seinem imaginären Gulasch weiter.

Eine kleine Seele, die von nichts weiß und fern vom Rampenlicht auf dem Weg zum ewigen Zuhause schreitet, freut sich über die auf Freiheit hinwirkende Natur des Schöpfers, der seinem wahren Wesen treu war und bis ans Ende treu geblieben ist. Einige von uns waren diese kleinen Seelen. Wieviel Mühe hat es uns gekostet, mit ihm Schritt zu halten, hinter ihm herlaufen zu wollen, wenn er in der Inkandeszenz seiner heißen Imagination, immer größer, immer neuer, erneut alles in Frage stellend, jede wissensbedingte Gewißheit zerstörend wie ein Fohlen über alle Voreingenommenheiten der Konvention in wütendem Flug hinwegsprang.

In dieser bewegten See, wo jede Handvoll Wasser täglich anders aussah, gab es zwei symbolische Steine, zwei ruhige Pole, um die sich alles versammelte, was von ihm mit Brutalität und ohne jede Grazie abgelehnt und weggeworfen wurde. Der eine war die Königin Victoria, die Prüde, die er gelegentlich, ihre Würde schonend, gegen Wilhelmina austauschte, und der andre war Peek und Cloppenburg, der großzügige Mülleimer, wo die ganze prosaische Produktion des Spießbürgertums unvermeidlich endete. Das kam zum Glück ziemlich oft vor, so daß der sich unheimlich einschleichende korrosive Zweifel nicht lange am Werk bleiben durfte und über den Ernst der Vergleiche nicht lange umsonst zu grübeln brauchte.

Gottbegnadetes Wohlwollen, geniale Erfindung der Wasserschutzengel, die den meisten die Schwimmzeit verkürzt hat.

Da wir aber nicht alle desselben fähig waren, entstand diese von allen Warten der Beobachtung legalisierte, Ruhe stiftende Idee: »Fehling ist eine sehr interessante Persönlichkeit, aber, mit Verlaub, ein bißchen verrückt.«

Wie beruhigend! Wie liebenswürdig! Wie sozial, liebe Mutter aller Kinder!

Wie unheimlich das, was er überhaupt nicht war, versteckte, was er eigentlich war!

Daß seine maßlose Güte ständig in Konflikt mit Ihrer Majestät, dem Sparschwein, geriet und mit den vernünftigen Prinzipien der Möglichkeiten Krieg führte, hat ihn nur zu weiterer Auseinandersetzung mit dem Verstand der andren gebracht.

»Je weniger Geld ich habe, desto mehr gebe ich aus!« Mutmaßlich kann man mit dem Geld nicht anders umgehen.

Der Reiche hat keine Verdienste, ob er weiter gibt oder für sich alles behält.

Verdienst hat nur der Empfangende, denn sonst käme die Gabe nicht zu ihm.

So ein Armer, zu dem alle Gaben dieser Welt gekommen waren, der einen natürlichen Schutz gegen die schwerwiegenden erdrückenden Reichtümer besaß, konnte nicht nur jedem wunderbare, stille Gedanken weitergeben.

(»Nur Joana kann man nichts geben; sie hat alles.«)

Der Wind und Wasser gestählte Lübecker J. Fehling war ein zuverlässiges, großzügiges, mutiges Mitglied einer Rettungsdienststelle für wasserundichte Bühnenstücke, die nicht zuende gehen sollen, bevor der Vorhang fällt. Das tote Stück »Die Fliegen« von Sartre überlebte seine erste Überfahrt in Berlin nur Dank der inspiriert lancierten Schwimmringe und der peitschenden Schnauze unseres allergrößten Bademeisters. Daß ihm mehr und Besseres einfiel als Sartre, lag nicht an Sartre. Denn ließen sich auch viele wie Peek und Cloppenburg institutionalisierte Notwendigkeiten nicht umgehen, war unser verrückter Meister doch gegen jede Form von Dogmatisierung. »Einer wird dogmatisch, wenn ihm nichts weiter einfällt.« Wie verrückt sind die Verrückten!

Und der Unglückselige, der vor der Frage, ob das wahr sei, steht, steht vor der selbstgegrabenen Ruhestätte eines einfältigen Dogmas. Er fällt sowohl bei Ja wie bei Nein auf den Hintern und bodenständig hinein.

Und bevor die Verdauungszeit eines komplizierten Zusammenhangs vorbei war und man an etwas andres denken konnte, erfuhr man: Wenn man keinen richtigen italienischen Romeo hat, organisiert man das ganze Bühneninteresse um die runde Julietta herum. Und umgekehrt.

Wenn aber für alle beide seine Lieblingsbezeichnung doof zutrifft, oder beide politisch unzuverlässig pfeifen, ändert man den Titel oder sucht einen besseren bei Brecht.

Das kann ich, Jürgen Fehling, da sehr bekannt, nicht. Das können nur junge Dirigenten, die sowieso ein Skandal sind.

Wie springt man, und bleibt doch dabei? Das können nur Verrückte. Aber das ist noch nicht alles, was sie können. Sicher ist auf jeden Fall: Was Verrückte nicht können, können Gemaßregelte erst recht nicht.

Daß junge Dirigenten ein Skandal sind und überhaupt nichts können, war ein Stück mumifiziertes ägyptisches Eselfleisch, das weder geschluckt noch herausgespuckt werden konnte. Wehe dem Gesicht, welches nicht verheimlichen konnte, daß dieser heiß gefrorene Imbiß noch im Halse steckte.

Aber nur einer konnte einen aus diesem stummen Leiden herausziehen. Und niemals zögerte er, gütige Assistenz zu leisten, wenn er merkte, daß seine Worte mehr Leiden und Angst als Spaß bei den herausgeschlüpften Küken verursachten. Denn er wollte niemand wehtun, und der Respekt vor dem Leiden der andren gehörte für ihn, wie auch für mich, zu den schönsten und ethischsten Eigenschaften eines neu begegnenden Menschen.

Nun, ihn störte manchmal, daß es mit der Immunisierung seiner Mitmenschen, seines eigentlichen Publikums, gegen seine süß formulierten, giftigen Bemerkungen, so langsam vorwärts ging.

Und seine zerbrechliche Geduld war am Ende, wenn selbstherrlich mit besserwisserischem Unterton die unvermeidliche Frage kam: »Und Sie meinen es zu wissen?«

Und was wußte er nicht?

Wieso wußte ich nach einer Leidenszeit von sechsundzwanzig Frühlingen, in denen ich von Brot und Musik gelebt hatte, nicht, daß ein gewisser Satz einer Poulenc-Chormesse mit dem bockhaften Zucken eines jugendlichen Witwers nicht lange zusammengehen kann?

Ich war sehr verletzt, daß so etwas gesagt werden konnte, und noch verletzter, daß er recht hatte.

Er war sehr verletzt, daß so etwas gesagt werden konnte, und ungleich verletzter, daß ich nicht recht hatte.

Ich mußte etwas tun, damit unser beider unglücklicherweise in die Schüssel der Reue hineingerutschten Mentalitäten wieder trocken wurden; ich zog an den Eitelzöpfen meiner Dummheit und befreite uns beide von dem mädchenhaften Anlaß unsres Fiebers.

Aber nicht für lange.

Nach dem Vorlesen eines Textes von Jean Paul öffnete sich eine neue Krise in der affektbedingten Stabilität meiner Seele; mußte nicht auch ich zwischen den Zeilen lesen, zwischen den Lauten hören und mit den Pausen sprechen wie er? Warum kann ich das nicht?

»Ich kann das auch, und genau so wie Du!«, ertönte nach dem Konzert seine unverwechselbare Vollblutstimme.

So wie bei Dir Mendelssohn am Anfang der Italienischen Symphonie funkte und sprühte, sprühte und funkelte bei mir Shakespeare, als sein Schiff »Komödie der Irrungen« aus Freude vom Bühnenpier sich losriß.

Wieviel sein Gedanke mir bedeutete, konnte ich nicht sagen; ich stotterte statt dessen unter dem Druck einer genierenden Pause eine konventionelle Albernheit heraus. Er erwiderte mit größtem Ernst und fachmännischer Sicherheit: »Friß-nicht-sol-che-Dumm-heit-en!«

Ja, lieber Meister, aber so einfach, wie Sie sich vorstellen, ist das noch lange nicht, riskierte ich die bekannte speckige Formel, ohne auf die über dem Tisch hängenden schwarzen Wolken zu achten.

Nicht wahr! Statt zu denken, rülpst Dein Hirn! So was! Du hast's viel leichter, Dummkopf, brauste seine Fehlingsche Vitalität stürmisch auf.

Bei Dir ist alles vorgeschrieben, die Noten, das Tempo, die Lautstärke... bei mir ist nichts von alledem. Stimmts ?

Wieso, Meister? Sie haben auch vorgegebene, endgültig geschriebene Worte, Bewegungsanweisungen...

Schweig, Du Dummkopf!

Und der Dummkopf schwieg, indem er einen aggressiven, kamerafertigen, irischen Gesichtsausdruck annahm.

Schau mich nicht so dumm an, armseliger Angeber.

Bei Dir ist eine Klarinette eine Klarinette, nicht wahr? Bei mir ist die Klarinette von Frau Zischke etwas andres als die von Frau Erbsenkopf. Frau Zischke muß langsam sprechen. Sonst lispelt sie. Und langsam hochgehende Explosionen sind szenisch sehr interessant, aber praktisch ziemlich selten. Am schnellsten spielt sie religiöse Stücke mit weißen stummen Nonnen und tauben roten Kardinalen.

Frau Erbsenkopf kann nicht langsam sprechen wegen Asthma und imponierendem Busenbuffet.

Das sind einmalige, wahre, unübersehbare Zusammenhänge einiger unvergeßlicher Fehlingscher Inszenierungen.

Was die Bewegungsanweisung betrifft, »Schnell über die Bühne hüpfen«, muß wegen Einsturzgefahr mehr klanglich gehüpft werden.

Bei Dir gibt es eine Kontinuität, die unentbehrlich ist. Wenn Du zehn Takte aus Deinem Menuett überspringst, dann springen beinahe alle Deine Bewunderer auf und Du gerätst in Gefahr. Wenn bei mir einer vergißt, daß er wegen Gedächtnisschwund pensioniert wurde und zehn Zeilen des Textes ausläßt oder zwanzig andere aus einem fremden Stück reinbringt, wird das Drama erst viel interessanter. Dann wird endlich die Genialität von Fehling fachmännisch anerkannt und gepriesen.

Wie kannst Du Dich mit mir vergleichen ? Weißt Du wer ich bin ? Ich wollte nicht...

Wie kannst Du mich, wenn Du nicht weißt, wer ich bin, mit Dir vergleichen ?

Ich wollte das auch nicht...

Ich habe es auch nie wieder versucht.

Ich habe nur gelernt! Und was? Alles das, was ich von Anfang an wußte: Zu hören und wieder zuzuhören.

Habe ich Jürgen Fehling wirklich gekannt?

Sind meine Kontakte zu ihm oder zu dem, von dem ich dachte, daß er das wäre, heute noch aufschlußreich, zuverlässig und wahrheitsnah, wie sie mir in der aufgeschlossensten Phase meines Lebens erschienen sind ? Ist sein wirkendes Tun in mir noch so lebendig und spurenfroh, wie es mir damals schien ? Ist das alles heute noch so wahr, daß man sich anmaßen darf, über diese unfaßbare Erscheinung etwas von Bedeutung für die andren aussagen zu dürfen? Sind meine Reaktionen diesem Beispiel gegenüber übertrieben? Und wenn ja, wer treibt wen ? Habe ich den dramatischen Bedarf, die täglich breiter werdende Wüste durch das Projizieren meiner Erinnerungen und Wünsche wieder zum Leben erwecken zu wollen?

Das weiß ich nicht.

Das sind auch nicht meine Fragen.

Ich habe keine Fragen, weder an ihn, noch an diejenigen, die ihn so mißverstanden haben. Was ich von ihm weiß und habe, integriert sich zu einem vollständigen, lebendigen Bild: Er war ein Künstler  –  Der Künstler überhaupt.

Ich kann beim besten Willen nicht die negativen von den positiven Aspekten unterscheiden. Ich kann nur mit uneingeschränkter Begeisterung die Begegnung mit ihm wiedererleben, neben ihm lange sitzen und für die Bereicherung, die uns Suchenden durch ihn zuteil wurde, singend danken.

Die kritische Minute, auf die manche Hilflosen in seiner Gegenwart heiß und innig gehofft und gewartet haben, die manchen Trost und Komfort hätte geben können, da die rücksichtslose Zange seiner Konzentration auch Nichtgewolltes herausbrachte, die kritische Minute, in der nichts geschah, hat der Theatermann, der Regisseur Jürgen Fehling nicht durchgehen lassen.

Diese heutige nichtssagende Ruhe, dieser von niemandem gewollte lange Entr'acte, ist trügerisch.

Wir lachen weiter zusammen, allein und mit ihm, und am herzlichsten über diejenigen, die noch nicht entdeckt haben, wieviel Spaß dieser Zeitvertreib der Götter, das Verrücktspielen, machen kann.



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