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Konrad von Abel über seinen Lehrer Celibidache


Konrad von Abel Konrad von Abel, Jahrgang 1958, ist unter den Schülern von Sergiu Celibidache derjenige, der am längsten und intensivsten mit ihm gearbeitet hat, insgesamt 20 Jahre lang. Von 1986 bis 1996 war er künstlerischer Assistent Celibidaches bei den Münchner Philharmonikern und verantwortlicher Dozent für dessen Dirigierklasse. In einem Gespräch vom April 1999 äußert sich Konrad von Abel über die Bedeutung von Sergiu Celibidache für seinen musikalischen Werdegang.

Wann und wie hat Ihr musikalisches Interesse begonnen ?

Früh, mit 8 Jahren, kam ich im Hymnus-Chor Stuttgart bei Professor Gerhard Wilhelm mit einer ganz besonders intensiven Art des Musizierens in Berührung.
 
Es war für mich besonders schön und prägend, daß ich mit einem so lebendigen Instrument wie dem Chor angefangen habe. Das Faszinierende dabei ist der Zwang zum aktiven Hin- und Hineinhören, man muß sich immer am Gehörten orientieren. Dabei werden Kräfte wach und innere Perspektiven, wie es richtig sein muß, ohne daß viel darüber gesprochen wird.
 
Erst nach dem Beginn meiner Arbeit im Chor kam dann bei mir das Klavier hinzu. Aber ich wußte schon in jungen Jahren, daß ich später Dirigent werden wollte.
 
Ich ging sehr früh schon in Konzerte und in die Oper, die übrigens damals in Stuttgart künstlerisch in ein sehr hohes Niveau hatte.

Wie wurden Sie auf Sergiu Celibidache aufmerksam ?

Zu meinem ersten Kontakt mit Celibidache kam es in Bezug auf mein bis dahin schon existierendes musikalisches Interesse eigentlich erst zu einem relativ späten Zeitpunkt. Das erste Konzert mit ihm habe ich im Januar 1976 besucht.
 
Sergiu Celibidache wirkte zu dieser Zeit als ständiger Gastdirigent beim Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. An diesen Konzerten nahm sozusagen fast die ganze Stadt Anteil - es war immer ein ganz besonderes Ereignis.
 
Bald fiel mir die Diskrepanz auf zwischen Konzerten mit Celibidache und anderen Aufführungen. Bewußt geworden ist mir das besonders bei zwei Konzerten der 8.Symphonie von Anton Bruckner innerhalb einer Woche: Celibidaches Konzert war nicht einfach eine andere "Interpretation", nein, da war das auf einmal eine andere Symphonie, etwas grundsätzlich Anderes ! Es war eine ganze Welt, die sich da geöffnet hat.

Sie gingen ja damals schon sehr oft in Celibidaches Proben und seinen Unterricht, wie konnten Sie das denn mit Ihrem Schulbesuch vereinbaren ?

Damals war ich etwa 17 Jahre alt, ich ging von halb acht bis neun oder halb zehn Uhr in die Schule, und danach machte ich mich auf den Weg, die restliche Zeit im Rundfunksaal zu verbringen. Die Proben dort gingen von neun bis zwei Uhr, also fünf Stunden, und anschließend gab es fast jeden Tag noch zwei bis zweieinhalb Stunden Unterricht. Das war unglaublich intensiv.
 
Celibidache war damals sehr viel in Stuttgart; drei bis vier Perioden zu zwei mal zwei Wochen, d.h. er hat für ein Programm zwei Wochen lang gearbeitet, dann zwei Konzerte absolviert, und danach kam das nächste Programm.

Erzählen Sie etwas von seinem Unterricht !

Da kam eine kleine Gruppe von zehn bis zwölf Leuten zusammen, die meisten regelmäßig und täglich. Ein Glücksfall für mich war, daß er, als ich hinzugekommen bin, gerade neu mit dem Unterrichtsstoff "Phänomenologie der Musik" begann. Es gab dabei Unterrichtsstunden, von denen die, die dabei waren heute noch mit Bewunderung sprechen ! Denn alles war neu, noch nie gehört, und dabei gleichzeitig packend und immer einsichtig.
 
Seine Art des Unterrichtens kam aus einem tiefen, verinnerlichten Wissen, und er sprach völlig frei und spontan, ohne irgendein Manuskript. Dabei hatte er immer eine präzise Vorstellungen von dem, was er vermitteln wollte. Zugleich praktizierte er alles in einem ständigem lebendigen Austausch mit uns. Und er hat dabei keinem die Möglichkeit gegeben, nicht mitzukommen.
 
Das war eine unglaublich intensive Zeit, die mich am meisten von allen geprägt hat.

Was hat Celibidache dabei für Sie selbst bedeutet ?

Es waren so viele Aspekte, die er uns im Unterricht auseinandergesetzt hat, die in mir eine Art Echo gefunden haben. Das heißt, daß alles im Grunde schon in mir war, er brauchte es nur anzutippen und ich konnte eine Verbindung herstellen. Ich hatte schon bald das Werkzeug in der Hand, das es mir erlaubte, unterscheiden zu können. Früher war es für mich nur darum gegangen, im Radio oder im Konzert alle die berühmten Stücke zu hören, bald jedoch waren diese berühmten Stücke in den Aufführungen der meisten anderen Dirigenten oft gar nicht mehr so schön. Mit jeder Erfahrung weiterer Konzerte wurde diese Einsicht weiter eingegraben.

Sie haben aber auch an der Hochschule studiert. Kamen Sie dabei durch deren andere Ausrichtung nicht in Konflikte ?

An der Hochschule habe ich Theorie und Klavier studiert, Dirigieren aber nur bei Celibidache. Das war etwas vollkommen anderes als das, was an der Hochschule unterrichtet wurde. Es geht beim Dirigieren um ganz konkrete Dinge: Ich hatte dabei nie Zweifel, daß die praktische Gestik, die er lehrte, die funktionellste ist. Man denke z.B. an die Proportionen im Schlag. Daß es die Möglichkeit gibt, im Schlag eine Analogie zu finden zum Bogen der Musiker, zur Atemsäule. Das bewirkt, daß ein Orchester sofort anderes klingt.
 
Das völlig neue für uns daran war, daß dies nicht nur gelegentlich instinktiv passierte, sondern daß, wenn es bewußt geworden ist, eine Gesetzmäßigkeit daraus abgeleitet und lehrend weitergegeben werden kann. Und das ist noch immer etwas Neues für die meisten Dirigentenschüler, wie ich bei meiner Arbeit mit jungen Studenten immer wieder feststellen kann.

Sie sind ja dann dem Weg Celibidaches gefolgt ...

Ja, was er lehrte hat für mich schon früh eine solche Faszination gewonnen, daß sich die Frage nie stellte, ob es sinnvoll wäre, diesen Weg, im Gegensatz zu dem der Hochschulen, fortzusetzen. Es war und ist mir immer musikalische Richtlinie geblieben, da gab es nie irgendwelche Zweifel. Indem ich mit Tönen umgehe, kann ich gar nicht anders arbeiten als wie ich es von ihm gelernt habe. Denn da ich die verschiedenen Annäherungen an den Klang und die Beziehungen im Klang immer wieder unter seiner Obhut praktizieren konnte, wurde mir dies völlig selbstverständlich. Zu dieser Arbeitsweise gibt es keine Alternative.
 
Und was ich von ihm gelernt habe, gebe ich auch weiter. Ich versuche dabei so intensiv zu unterrichten, wie es mir möglich ist.

Hat Celibidache über das Musikalische hinaus für Sie eine Bedeutung ?

Sergiu Celibidache ist mir mehr als nur der musikalische Lehrer. Er hat umfassende geistige und menschliche Bedeutung für mich. Er war Orientierungs- und Fixpunkt in meinem Leben. Einmalig ist, daß er ein unglaublicher Denker und zugleich ein "Erleber" war, also ein Gestalter aus dem Erlebten heraus.
 
Und auch das Dirigieren war nicht einfach nur Dirigieren, sondern was er verlangte, war allumfassend, und betraf auch Aspekte, die einem an sich selbst vorher noch nie bewußt geworden waren. In manchen Situationen kam es dabei vor, daß einem ein lichter Moment entstand, und mit einem Schlag hat sich da etwas geöffnet. Aber es passierte auch, daß sich einem ein Abgrund auftat.
 
Alles kam vor, alle Ebenen in einem selbst hat er irgendwann in Bewegung versetzt. Man kann nicht einen Teil davon vergessen oder einen Rest beiseite schieben. In allen Handlungen war dieser Mensch am Werk, der mich auf die wesentlichen Aspekte der Musik und des Lebens gebracht hat. Es war ein unglaublich reicher Weg.

Welchen Einfluß hat Celibidache heute auf Ihre tägliche Praxis ?

In gewisser Weise ist alles präsent, was ihn ausgemacht hat. Und was ich als sein Anliegen verstanden und erlebt habe, das ist auch meines. Musik ist, was Leben transzendiert. Das ist eine der Antriebskräfte, warum wir Musik machen, nämlich um von den Dualismen des täglichen Lebens frei werden zu können - ein Erleben der Freiheit und der Wahrheit. Das schafft Kräfte und ein Licht, das danach irgendwie weiter wirkt, obwohl es auf materielle Dinge keinen direkten Einfluß hat. Und ohne daß man das konkret festmachen könnte, ist man irgendwie ein anderer danach.

Das Gespräch führten Nortrud Löw und Mathias Winkler im April 1999


 


Das Photo von Konrad von Abel wurde freundlicherweise von der Musikproduktion Jürgen Höflich zur Verfügung gestellt.

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