München, um 1990
Der Künstler. Die Person.
Sergiu Celibidache gehörte nicht in eine Reihe mit anderen Dirigenten seiner Zeit,
noch in die Welt der Klassikstars. Einige wußten und akzeptierten das auch.
Celibidache fiel völlig aus dem üblichen Beurteilungsmaßstab heraus:
Seine Motivation war eine andere.
Er arbeitete anders.
Seine Maßstäbe waren andere.
Seine Welt lag in einem anderen "Referenzsystem".
Celibidache hatte eine Berufung, von der alleine her der Künstler und der Mensch bis in die private Sphäre hinein zu verstehen war. Im Alter von etwa 40 Jahren, nach Zeiten gefeierter Jungstar-Existenz, fand er den Durchbruch zu seiner Lebensaufgabe, die seine gesamte Ausrichtung grundlegend änderte, der er künftig alles unterordnete, und die er kompromißlos verfolgte. Er bezog für sich Berechtigung und Verpflichtung den Taktstock zu führen aus der Notwendigkeit, die musikalischen Bedingungen zu schaffen, daß MUSIK entstehen kann: nicht Musik im landläufigen Sinn als Klanggebäude, sei es noch so ergreifend, herrlich, makellos. Sondern MUSIK in dem Sinn, daß "über" dem Klang Wahrheit erlebt werden kann, Klang ist nicht MUSIK, darf nicht verwechselt werden, Klang wird lediglich als stofflich-sinnliches Transportmittel gebraucht, hat aber mit MUSIK nichts zu tun.
Geistiges regiert den Klang. MUSIK ist ein geistiges Erlebnis. Dabei geht es nicht um Intellekt noch Vorstellungskraft, weder um Traditionen, Neuerungen noch um Wollen oder Wissen. Unbeflecktes, ungetrübtes, unverschleiertes Bewußtsein ist Voraussetzung für spontanes Erleben beim Musizieren und Hören, wobei musizieren immer auch gleich hören ist. Vor dem, was erlebt werden kann, versagt denn auch das sprachliche Vermögen der Schilderung. MUSIK erleben ist ein Akt des Bewußtseins. Das ist der radikale Qualitätsbruch. Dies ist das einzige "allbeherrschende letzte Motiv" (Georg Simmel) von dem Celibidaches Leben und Bewertungsmaßstäbe Orientierung und Ordnung erhielten.
Er war, soweit die Öffentlichkeit überblickbar war, zu seinen späteren Wirkungszeiten der einzige Dirigent, der in der Lage war, die musikalischen Bedingungen zu schaffen, zu erarbeiten, zu verwirklichen damit Klang MUSIK werden kann - und zwar ganz ohne geheimnisvolle "Mystik", die Nichtverstehende und Schwärmer ihm so gerne anhängen. Und für dieses einzigartige Ziel brauchte er handfeste Voraussetzungen in der realen Alltagswelt wie Probenbedingungen, angemessene Räume, entsprechendes Personal usw., was Organisatoren, Politikern, Geldgebern, Musikmanagern - und z.T. auch den Musizierenden selbst - abgerungen werden mußte: Menschen und Institutionen, die nicht wissen noch erfahren wollten, um was es wirklich ging, für die Kunst als existentielles Erlebnis außerhalb ihrer Welt lag. Konflikte und Kollisionen, Kämpfe, Mißverständnisse waren damit jederzeit vorprogrammiert. Weshalb er als schwieriger, machtbesessener, autoritärer Exzentriker apostrophiert wurde. Aber beider Seiten Maßstäbe schlossen sich eben aus. Ihm ging es nicht um das "beste" Konzert, nicht um die virtuosesten Kadenzen oder Kapriolen noch um die längsten und lautstärksten Ovationen. War MUSIK nicht entstanden, war letztlich das Konzert "für die Katz" (Celibidache).
MUSIK-Entstehen läßt sich zwar nicht erzwingen; standen dem aber vermeidbare äußere Gründe entgegen, die der normale kommerzielle Musikbetrieb mit sich bringt, oder auch Schlamperei, Routine oder Gleichgültigkeit, blieben Celibidache nur noch Zornesausbruch, Resignation, Verzweiflung oder Traurigkeit. Wer ihm dennoch die Bravos oder Jubelkritiken entgegenhielt, verhielt sich zynisch und decouvrierte lediglich schonungslos seine eigene Ignoranz - so wie es auch nicht ein einziges grundlegend gelungenes Beispiel der vielen Bücher, Artikel, Reden, Gespräche über Celibidache gab, das ihm auch nur annähernd gerecht werden konnte, ob sie ihm negative Etiketten oder so absurde wie "(Klang-)Magier", "Mystiker", "Guru" und dergleichen aufklebten. Seine Arbeitsweise hatte aber eben nichts geheimnisvolles, jedem war freigestellt, in Probe und Konzert daran teilzunehmen und zu lernen. Voraussetzung für den Erfolg war lediglich: Hören.
Er wollte nichts für sich. Weitergeben bedeutete ihm Hauptaufgabe. Deshalb maß er dem Unterrichten ein besonderes Gewicht zu. Unermüdlich gab er sein Wissen und Können in theoretischer und praktischer Arbeit den Schülern weiter, um sie fähig zu machen, das, was er konnte, selbst umsetzen zu können: nämlich das Klangmaterial so zu ordnen, daß es die Bedingungen erfüllt, damit MUSIK entstehen kann. Das Einzigartige und Außergewöhnliche seines Unterrichts: was mancher Künstler, aber auch Nichtprofessionelle intuitiv findet, er wußte es bewußt zu machen und zu lehren. Diese Erkenntnisse wollte er weitergeben an alle, die offen dafür waren. Sie sollten jedem zugänglich sein.
Wer je "über den Klang gekommen ist", MUSIK erlebt hat, weiß, daß es sich um ein spontanes, geistiges, intersubjektives, aktuelles Geschehen handelt, das sich alleine im menschlichen Bewußtsein vollzieht. Er weiß, daß es da nichts zu konservieren geben kann. Klänge, Klangaufzeichnungen, Aufnahmetechnik finden im äußeren, stofflichen Bereich statt. Damit es nicht zu Mißverständnissen kommt, standen für Celibidache Plattenaufnahmen nie zur Diskussion. Filmaufnahmen dagegen waren für ihn von solchen Verwechslungen nicht in dieser Weise betroffen, so daß er seinem Orchester die Zusatzeinnahmen dafür gerne gönnte.
Es ist alles beim alten. "Verstehende sind schwer zu finden" (Celibidache, FAZ 28.07.1962), ebenso Erlebnisfähige und -willige. Subtiles Geistiges ist immer auf die Bereitschaft der sich Öffnenden angewiesen. Für den vom "analytisch-synthetischen Denken" Geprägten, den "Logik-verwöhnten" (Celibidache, ebd.) erregt Celibidaches Arbeit und sein Werk heute noch genauso Anstoß wie zu seinen Lebzeiten. Hoffen wir, daß dennoch viele den von ihm gezeigten Weg für sich entdecken.
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