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München, um 1990

Versuch eines Celibidache-Glossars


 

Mit dieser Seite, einer alphabetischen Auflistung von Abrissen über für Celibidache wichtige Begriffe, Personen und spezielle Termini, soll der Versuch unternommen werden, eine Art "Celibidache-Glossar" zusammenzustellen. Der Autor ist sich dabei durchaus im Klaren darüber, daß man zu beinahe jedem dieser Themen, wollte man sie erschöpfend behandeln, mindestens eine mehrseitige Abhandlung schreiben müßte. Dies kann und soll aber die vorliegende Zusammenstellung nicht leisten, vielmehr geht es darum, die behandelten Gegenstände zunächst einmal ansatzweise vorzustellen und damit verbundenen Implikationen kurz anzureißen. Auch ist ein gewisser Werkstattcharakter eines solchen Vorhabens durchaus beabsichtigt, und daß eine solche Arbeit auf absehbare Zeit kaum als abgeschlossen angesehen werden kann, ist dem Verfasser in der Tat ebenso bewußt. Sollte also einem Leser dieser Zeilen manche Formulierung, Aus- oder Einlassung etwa als diskussionswürdig aufstoßen, so ist dem Autor dieser Seite im übrigen eine Nachricht darüber jederzeit gerne willkommen.

Einträge gibt es momentan zu folgenden Themen:

A -AufnahmenO -Oper
B -Berliner Philharmonisches Orchester Orchesteraufstellung (Sitzordnung)
 BuddhismusP -Partitur (und Noten)
C -Celebidachi Phänomenologie
D -Dirigenten Phänomenologie der Musik
F -Furtwängler, Wilhelm Proben
H -Husserl, EdmundR -Reduktion, reduzieren
I -InterpretationS -Schönheit
K -Klang (und Ton) Sprache (i.Ggs.z.Musik)
 KritikerT -Tempo
L -Langsamkeit Tiessen, Heinz
M -Mahler, Gustav Ton
 Münchner Philharmoniker Transzendenz, transzendieren
 MusikU -Unterrichten
N -NotenZ -Zen-Buddhismus

 
 
A Aufnahmen: Tonaufnahmen lehnte Celibidache aus grundsätzlichen Erwägungen ab, und bis auf wenige Ausnahmen zu Beginn seiner Karriere und eine UNICEF-Benefizproduktion von 1979 gibt es daher keinerlei Plattenproduktionen Celibidaches. Erst nach seinem Tod sind, nicht unumstritten, offizielle Veröffentlichungen von Mitschnitten seiner Konzerte erschienen.
Celibidache hat den Aspekt der Unmöglichkeit der technischen Aufzeichnung von MUSIK oft erläutert, zitiert wird hier aus einem Beitrag von ihm über Wilhelm Furtwängler: "Auf Schallplatten ist nicht einmal ein Schatten von Furtwängler geblieben. Er hat es auch genau gewußt, daß die Mikrophone das nicht aufnehmen können. In London hat er einmal eine Platte gemacht [...]. Und dann haben sie es abgehört, und er bekam einen Wutanfall: »Das ist nicht mein Tempo!«  –  Natürlich nicht, denn die Vielfalt, die das Mikrophon aufnehmen kann, und die Vielfalt, die im Raum entstanden war, ist eine andere! Da Tempo nichts absolutes ist, sondern eine Bedingung, damit die Vielfalt reduziert werden kann  –  indem die Vielfalt eine andere war, war das Tempo falsch! Keine Platte kann wiedergeben, was im Raum war, auch heute in digital nicht. Schallplatten sind bestenfalls Photographien eines lebendigen Geschehens. Sicher: es gibt schöne Photographien, aber nehmen Sie etwa Brigitte Bardot  –  das, was sie berühmt gemacht hat, ist doch unphotographierbar ...".
Den rein dokumentarischen Wert von Tonaufnahmen (wie nun auch von Photographien) hat Celibidache dagegen im übrigen nie bestritten, im Gegensatz aber eben zu der Undurchführbarkeit des Konservierens (des lebendigen und einmaligen Erlebens) von MUSIK.
B Berliner Philharmonisches Orchester: Als das Berliner Philharmonische Orchester nach dem Krieg 1945 wegen des gesperrten Wilhelm Furtwängler und nach dem überraschenden Tod von Leo Borchard einen neuen Chefdirigenten suchte, wählten sie dafür überraschend den damals 33-jährigen Celibidache aus, der bis dahin in der Öffentlichkeit einzig durch den fulminanten Gewinn eines Dirigentenwettbewerbs des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, nur wenige Tage zuvor, in Erscheinung getreten war. Celibidache legte dann als verantwortlicher Leiter des Orchesters in den folgenden Jahren ein enormes Arbeitspensum an den Tag, mit mehr als 100 Konzerten pro Jahr, bis er 1952 die Leitungsposition wieder an den entnazifizierten Wilhelm Furtwängler zurückgab. Der Eindruck, den Celibidache durch diesen kometenhaften Aufstieg bei Publikum, Kritiker und Fachwelt hinterlassen hat, war enorm. Daß das Orchester trotzdem nach dem Tod Furtwänglers 1954 nicht ihn, sondern Herbert von Karajan zum neuen Chefdirigenten gewählt hatte, hat Celibidache tief gekränkt, und in seiner Enttäuschung schwor er, nie wieder mit diesem Orchester zusammenzuarbeiten. Auf Vermittlung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker kam es jedoch im Jahr 1992 dann doch noch, mit zwei Aufführungen von Bruckners 7.Symphonie, zu einer späten, einmaligen Rückkehr an das Pult des Orchesters.
  Buddhismus: Siehe Zen-Buddhismus.
C Celebidachi: Unter diesem (aus dem Griechischen stammenden) Namen wurde er geboren. In seinem nach dem Krieg ausgestellten Berliner Paß wird der Name jedoch versehentlich unter Vertauschung zweier Vokale falsch geschrieben 1, und diese Schreibung behielt er nun bei und trat so in der Öffentlichkeit Zeit seines Lebens unter dem Namen "Celibidache" in Erscheinung. Die ursprüngliche Schreibweise findet sich jedoch wieder auf seinem Grabstein, und sein Sohn Serge verwendet ebenfalls die genuine Form.
D Dirigenten: An der Arbeit der meisten seiner Dirigentenkollegen hatte Celibidache oft erhebliche Einwände geäußert. Diplomatische Euphemismen war dabei nicht seine Sache, und wenn auch die Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht selten auf ein paar reißerische Überschriften reduziert war, so stand dennoch hinter den oft schneidenden Worten eine fundierte fachliche Kritik, die er durchaus auch eingehend begründen konnte. Dirigenten die er, neben dem großen Vorbild Wilhelm Furtwängler, in mancher Hinsicht schätzte waren u.a. Leopold Stokowski, Carl Schuricht, Rafael Kubelik und Sandor Vegh.
F Furtwängler, Wilhelm: Wilhelm Furtwängler war der Dirigent, der Celibidache am meisten von allen beeindruckt hat, zu dem er die engste Beziehung hatte und auf den er sich am öftesten bezog. In einem Beitrag über Furtwängler faßte Celibidache das so zusammen: "... was ich mit ihm erleben durfte, ist mir so wie ein Leuchtturm. Alles, was ich später gemacht habe, habe ich in Bezug auf die Erkenntnisse gemacht, die ich von ihm bekommen habe".
H Husserl, Edmund: Einen Teil der Terminologie Husserls, dem Begründer der Phänomenologie, verwendet Celibidaches für seine "Phänomenologie der Musik", gibt dabei aber in einigen Fällen den Begriffen eine veränderte Bedeutung.
I Interpretation: Die mit diesem Begriff implizierte weitgehend arbiträre Art der Realisierung von Musikwerken ließ Celibidache nicht gelten: "Wenn Sie den genauen Weg nach Hause kennen, interpretieren Sie da etwa den Weg, wenn Sie ihn gehen?". Er faßte das, pointiert, so zusammen: "Es gibt keine Interpretation", will sagen, entweder es ist MUSIK entstanden, oder eben nicht. Es kann auch keine Beliebigkeit geben, die bei der Aufführung von musikalischen Werken wirksamen Gesetzmäßigkeiten willkürlich zu "interpretieren", ähnlich wie man auch nicht die Gesetze der Physik bei der Konstruktion von technischen Geräten "interpretieren" kann, man kann sich eben nur genau danach richten: "Wenn das Wissen da ist, verschwindet die Interpretation".
K Klang (und Ton): "Was wissen wir vom Klang und schließlich vom musikalischen Ton? Nicht viel mehr als der prähistorische Mensch, der, einem inneren Drang nach Freiheit folgend, durch inspiriertes Suche ihn entdeckt und unwissentlich von Weltall geliehen hat. Was ist Klang? Klang ist Bewegung. Klang ist Schwingung. Was bewegt sich? Die grobstoffliche Materie: eine Saite, eine Luft- oder Metallmasse. Wir wissen, daß alles Bewegung ist. Wenn Klang Bewegung ist, was unterscheidet den Klang, der MUSIK werden kann, von dem anderen, von den andereren Bewegungen? Die ihm zugrundeliegenden spezifischen unverwechselbaren Strukturen: die gleichen und gleichbleibenden Schwingungen. Für eine bestimmte Zeiteinheit dieselbe Zahl an Schwingungen. Das ist das Wesen des musikalischen Tons."2
  Kritiker: Celibidaches Wertschätzung der Arbeit der meisten Musikkritiker war weitgehend ablehnend, bei manchen Kritikern wiederum beruhte das durchaus auf Gegenseitigkeit. Celibidache bemängelte, in mitunter drastisch pointierten Worten, aber vor allem den oft zu beobachtenden Ansatz von Kritikern, die Qualität musikalischer Darbietungen ausschließlich nach subjektiven, emotionalen, assoziativen oder vergleichenden ("Interpretationsvergleich") Kriterien zu beurteilen, nicht jedoch einen objektiv nachvollziehbaren, aus rein musikalischen Beobachtungen und Gesetzmäßigkeiten bestehenden Maßstab zu verwenden.
L Langsamkeit: Celibidache werden und wurden immer wieder angeblich besonders "langsame Tempi" nachgesagt; dies ist allerdings zunächst nur eine Beobachtung, die ausschließlich relativ zu der (Geschwindigkeit) vieler anderer Dirigenten festgestellt wird. Das beim Abhören von Aufnahmen (nicht nur) Celibidaches vermeintlich oft (zu) langsame Tempo hat, in Unterscheidung zu der erstgenannten Beobachtung, mit immanenten Implikationen der Tonaufnahme an sich zu tun, die die Vielfalt der klanglichen Erscheinungen nicht in der ursprünglichen Menge abbilden kann und dadurch den Eindruck eines langsameren (als im Konzert) Tempos entstehen läßt. Daß die Aufführungen Celibidaches während seiner Karriere vom reinen Aspekt der Geschwindigkeit her gesehen eindeutig langsamer geworden sind, hat damit zu tun, daß er in der intensiven Zusammenarbeit mit einem Orchester (v.a. den Münchner Philharmonikern) im Laufe der Zeit eine immer größere klangliche Vielfalt realisieren konnte, die dann zwangsläufig einen größeren (physikalischen) Zeitraum erforderten, um "reduziert", d.h. in Gänze wahrgenommen und transzendiert werden zu können.
M Mahler, Gustav: Die Werke Gustav Mahlers schätzte Celibidache grundsätzlich recht gering, er warf dem Komponisten mangelndes Formgefühl vor und daß er "immer nur anfange und nie aufhöre", was in dem Sinne zu verstehen ist, daß er Mahlers Fähigkeit zum Verarbeiten und zu Ende führen von thematischen Entwicklungen in Frage stellte. Eine gewisse Ausnahme von der Abneigung waren die Lieder Gustav Mahlers, da diese in ihren einfachen und übersichtlichen Formen diesbezüglich sich deutlich von den groß angelegten Strukturen der Symphonien unterschieden. So ist denn auch das einzige Werk, das Celibidache je von Gustav Mahler aufgeführt hat, ein Liederzyklus, nämlich die "Kindertotenlieder" (1983 in München mit Brigitte Faßbaender).
  Münchner Philharmoniker: Seit seinem Abschied beim Berliner Philharmonischen Orchester 1954 hatte Celibidache sich nie wieder für längere Zeit fest an ein Orchester gebunden, bis er schließlich im Jahr 1979 die Münchner Philharmoniker übernahm, und die wurden schließlich der Klangkörper, mit dem Celibidache am längsten (17 Jahre) und nachhaltigsten gearbeitet hat, bis zu seinem Tod im Jahr 1996.
Zum Zeitpunkt von Celibidaches Amtsantrittes war das Orchester, fast drei Jahre nach dem Ableben des Vorgängers Rudolf Kempe, vom musikalischen Niveau und in der Wahrnehmung in der Orchesterlandschaft eher als zweitrangig angesehen, und als Celibidache bei seinem Einstand versprach, daraus ein Ensemble von Weltgeltung zu formen, wurde das zunächst skeptisch aufgenommen. Doch seit etwa Mitte der 1980er Jahre ist tatsächlich die Qualität der Philharmoniker von der Musiköffentlichkeit, auch auf den vielen Tourneen, einhellig und selbst von sonst eher Celibidache-kritischen Stimmen als allerhöchste auf dem Niveau der besten Spitzenorchester der Welt gelobt worden.
Ab 1983 waren die Münchner Philharmoniker dann das einzige professionelle Orchester, das Celibidache bis zu seinem Tod dirigiert hat (abgesehen von der einmaligen Rückkehr zum Berliner Philharmonischen Orchester 1992), und diese Konzentration auf die Arbeit mit einem einzigen Ensemble ließ schließlich eine der intensivsten und fruchtbarsten Dirigenten-Orchester-Beziehungen überhaupt und den Höhepunkt seines musikalischen Schaffens entstehen.
  Musik: Celibidache verwendet den allgemeinen Begriff "Musik" fast ausschließlich als Bezeichnung für das, was unter bestimmten Bedingungen in einer Aufführung erlebt werden kann: "Musik ist nicht etwas, das sich in einer Definition durch Denksymbole und sprachliche Konventionen erfassen läßt. Sie entspricht keiner wahrnehmbaren Daseinsform. Musik ist nicht etwas. Etwas kann unter bestimmten einmaligen Voraussetzungen Musik werden, und dieses etwas ist der Klang."2
Zur Unterscheidung zum sonst üblichen, mehrdeutigen Gehalt des Wortes, wird der Begriff als Bezeichnung im oben genannten Sinn auf dieser Website in der Schreibweise "MUSIK" verwendet.
N Noten: Siehe Partitur.
O Oper: Gegen die Oper als Kunstform hatte Celibidache einen grundsätzlichen Einwand, nämlich den, daß sich dabei die beiden Disziplinen Wort (bzw. das dramatische Element) und Musik miteinander unvereinbar sind, sich generell entgegenstehen und nie zusammen in Einklang kommen können. Celibidache hat daher Zeit seines Lebens nicht ein einziges Mal eine Oper dirigiert. Jedoch hegte er noch in den 1980er Jahren Pläne zu konzertanten Aufführungen von Mozarts Cosi fan tutte und Alban Bergs Wozzek.1
  Orchesteraufstellung (Sitzordnung): Celibidache bestand ausschließlich auf einer Orchesteraufstellung, die weitgehend der von Leopold Stokowski eingeführten sog. "neuen amerikanischen Sitzordnung" ähnelt, aber von Celibidache unabhängig von jenem entwickelt wurde. Dabei sind die Streicher in der Reihenfolge 1. und 2. Violinen, Viola, Celli (und Kontrabässe) von links nach rechts um den Dirigenten herum angeordnet, im Unterschied zu der klassischen, bis heute nach wie vor am häufigsten verwendeten sog. deutschen Sitzordnung, bei der (jeweils von vorne nach hinten) links die 1.Geigen, Celli und Kontrabässe und rechts die 2.Geigen und Bratschen gruppiert sind.
P Partitur (und Noten): Celibidache zitierte gerne den Ausspruch von Gustav Mahler: "Was steht in der Partitur? Alles, nur das Wesentliche nicht!". Er führte dazu aus: "Die Partitur ist ein Hilfsmittel, damit Sie zu einer Wirklichkeit kommen, die dann nur durch den Klang sich offenbaren kann. Die Partitur ist nur eine Gebrauchsanweisung, ein symbolisches Festhalten von Werten, die an sich gar nicht festzuhalten sind"3
In diesem Zusammenhang war es für Celibidache auch essentiell wichtig, die Werke, bevor er sie probte und aufführte, voll und ganz auswendig zu beherrschen, und daher benutzte er (außer, aus traditionellem Respekt gegenüber dem Solisten, bei Solokonzerten) bei allen seinen Konzerten nie eine Partitur, ja nicht einmal bei den Proben. Das Auswendigdirigieren und -arbeiten war für ihn eine entscheidende Bedingung, sich voll und ganz auf die Ordnung der Klangerscheinungen im Orchester konzentrieren zu können.
  Phänomenologie: Diese, im wesentlichen von Edmund Husserl begründete Richtung der Philosophie des 20.Jahrhunderts war für Celibidache eine maßgebliche Grundlage seiner Darlegung der spezifischen Eigenheiten und der zu berücksichtigenden Bedingungen bei der Entstehung von MUSIK, er entwickelte daraus seine "Phänomenologie der Musik".
  Phänomenologie der Musik: Darunter verstand Celibidache "das Objektivieren des Klanges und [...] das Studium der vielfältigen Weise, wie der Klang eindeutig auf das menschliche Bewußtsein einwirkt."1 An anderer Stelle führte Celibidache das weiter so aus: "Die Phänomenologie [der Musik] studiert die Wirkung, die der Klang auf den Menschen haben kann. Der Klang entsteht und vergeht. Die Affekte, die den Klang begleiten oder die im Affektleben des Menschen vom Klang erweckt werden, gehorchen dem selben Gesetz. Und das ist das, was das Wesen der MUSIK ausmacht. Also, wo findet MUSIK statt? Nicht auf der Bühne, nicht auf dem Instrument, sondern im Bewußtsein. Wo bewegt sich [...] etwas [...]? Im Bewußtsein! Es bewegt sich auch in der Natur, ja sicher, aber wenn der Komponist anfängt, auf dem weißen Bogen Papier Musik zu empfinden, was bewegt sich den da? Nur sein Bewußtsein! Sein Bewußtsein ist aber in unlösbarer Beziehung zu seiner Affektwelt."4
  Proben: Während im zunehmenden Termindruck des zeitgenössischen Konzertbetriebes die Anzahl von Proben der meisten Dirigenten sich inzwischen oft auf nur ein bis zwei, maximal drei oder vier beschränkt, verlangte Celibidache während seiner gesamten dirigentischen Laufbahn stets eine ausreichende, größere Anzahl an Proben, um seine hohen Ansprüche realisieren zu können. Gerade auch bei renommierten und erfahrenen Orchestern bestand er auf bis zu einem Dutzend oder mehr (!) Probenterminen. Es ist naheliegend, daß ein solches rigides Arbeitsethos zwangsläufig des öfteren mit den organisatorischen und ökonomischen Effizienz-Zwängen des klassischen Musikbetriebs heftig in Konflikt kam.
Großen Wert legte Celibidache auch darauf, daß seine Arbeitsweise so weit wie möglich von allen Interessierten mitverfolgt werden konnte, daher waren seine Proben grundsätzlich öffentlich.
R Reduktion, reduzieren: Ein bei Celibidache oft auftauchender Terminus, den er so erklärte: "Das Zusammenschließen der Differenzen, das Eliminieren jeder Form von Dualität, ist die einzige mögliche Leistung unseres Geistes. Folglich muß er jede Vielfalt zu einem ihm als geschlossen erscheinenenden Faktum zusammenschließen. Das Eliminieren aller Differenzen, das Integrieren aller Teile zu einem Ganzen nennen wir Reduktion. Integrieren hat mit dem mathematischen und formallogischen Begriff als Wiederherstellung der Einheit aus Differenziertem nichts zu tun. Es handelt sich nicht um eine Wiederherstellung, sondern um eine einmalige und erstmalige Neu-Herstellung, die nur eine Bedingung erfordert: die zwischen den Teilen oder Seinsweisen existierenden wechselseitig ergänzbaren, untereinander komplementären Beziehungen."2
S Schönheit: Musik ist zweifellos auch schön, aber Celibidache betonte immer, daß MUSIK nicht nur schön, sondern vielmehr "wahr" ist; die Schönheit ist dabei sozusagen nur der Köder.
  Sprache (i.Ggs.z.Musik): "Ist Musik eine Sprache? Nein. Musik ist alles andere als eine Sprache. Die Sprache bedient sich einer in der Diskursivität erscheinenden konventionellen Symbolik und polyvalenter semantischer Bedeutungen. Sie kann durch prädikative Randbewegungen auf verschiedenen Wegen zu einem zentralen sinnhaften Kern kommen. Der Ton spricht den Menschen direkt, unentrinnbar an, unabhängig von jeder spezifischen individuellen Determination wie [Herkunft], Geschlecht, Zustand, Alter, und ruft freie, nichtkonditionierte Reflexe hervor. Er erfährt, wenn die Voraussetzungen dafür vereint werden, eine unmittelbare, unausdrückliche Entsprechung in der Affekt-bewegten Welt des empfangenden Subjekts."2
T Tempo: Dieser Begriff steht einerseits für bestimmte musikalische Vortragsbezeichnungen, andererseits wird er im allgemeinen Sprachgebrauch auch synonym für eine reine Zeit- oder Geschwindigkeitsangabe verwendet. Celibidache aber bemängelt diesen fälschlichen Gebrauch des Begriffes "Tempo" als feste Größe. Vielmehr ist Tempo die Bedingung, daß der gesamte Reichtum der Klänge in voller Entfaltung zu hören ist, d.h., daß alle Nebenerscheinungen, die diese mit sich bringen, voll erlebbar sind. Das Tempo ist dabei von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, u.a. von der Komplexität des Tonsatzes, von den akustischen Gegebenheiten des Raumes, vom Klangreichtum (der Ausdrucksvielfalt) den die Musiker anbieten können, und anderem. Größerer Reichtum verlangt also eine langsamere, geringerer eine schnellere Darbietung. Celibidache zitiert in diesem Zusammenhang u.a. gerne auch J.S.Bach: "Wer aus dem Tonsatz nicht erkennt, ob er ein Adagio oder ein Allegro vor sich hat, soll es lieber bleiben lassen".
  Tiessen, Heinz: Der Komponist Heinz Tiessen (1887-1971) war Celibidaches Lehrer an der Berliner Musikhochschule und die wichtigste Person für seinem musikalischen Werdegang. Tiessen war es, der, nachdem Celibidache ihm eine seiner Kompositionen gesandt hatte, Celibidaches großes Potential erkannte und ihn 1936 nach Berlin rief. Tiessen schätzte übrigens Celibidaches dirigentische Fähigkeiten bereits vor dessen fulminanten Start beim Berliner Philharmonischen Orchester ähnlich hoch wie die Furtwänglers ein. Aber vor allem in Bezug auf das Verständnis von Musik war Tiessen für Celibidache die alles entscheidende Instanz, und als Tiessen einmal (etwa 1952) in drastischen Worten die problematische musikalische Entwicklung seiner Aufführungen ihm vor Augen führte, war das für Celibidache der entscheidende Einschnitt in seiner Entwicklung als Dirigent. Er begann daraufhin, sozusagen wieder von vorne anzufangen und sich zunächst mit kleinen, einfachen musikalischen Formen zu beschäftigen, und später bezeichnete er diese Phase als den fundamentalen Wendepunkt in seiner Erkenntnis von Musik.
  Ton: Siehe Klang.
  Transzendenz, transzendieren: Ein entscheidender Begriff für Celibidache beim Erleben von MUSIK: "Bei einer reifen klanglichen Wahrnehmung verschwindet jede einzelne Erscheinung, und es entsteht die Frage: was bleibt? Was bleibt, ist die Beziehung, die nur durch Transzendenz erfahrbar ist. Der transzendierende Geist ist weder bei dem ersten Glied einer Relation, noch bei dem zweiten, sondern er überschreitet alle beide und eignet sich die Essenz ihrer Beziehung an. Verschwinden Beziehungen? Ja, aber nicht wie die Töne aus dem physisch wahrnehmbaren Sektor, wo sie aufgetreten sind. Sondern sie integrieren sich in eine neugeartete, höhere, die Teile transzendierende Einheit, die das bleibende Werk, die ewig mögliche Funktion des menschlichen Geistes ist."2
U Unterrichten: Das Unterrichten war für Celibidache eine Aufgabe von höchster Bedeutung, er maß ihm beinahe noch mehr Gewicht bei, als seinem Musizieren selbst. Celibidache hat viele Jahrzehnte lang einen wesentlichen Teil seiner Zeit der Lehrtätigkeit gewidmet, er hielt Seminare und Kurse u.a. an den Universitäten Trier, Mainz, München und der Schola Cantorum Paris, arbeitete intensiv mit Studentenorchestern wie in Tokyo, Philadelphia, München oder mit der Orchesterakademie Schleswig-Holstein. Sein Unterricht war generell kostenlos und stand allen Interessierten offen, auch die Proben mit seinen Orchestern waren grundsätzlich öffentlich.
Z Zen-Buddhismus: Celibidache lernte den Zen-Buddhismus durch seine Begegnung mit dem buddhistischen Mönch Dao Jun (Martin Steinke) 1939 in Berlin kennen, und das Lehrgebäude des Buddhismus im allgemeinen und der Zen-Schule im besonderen wurde maßgeblich prägend für Celibidaches Verständnis von Musik. Er hat dies selbst einmal folgendermaßen erläutert: "Ich bin als griechisch-orthodoxer Christ geboren, habe dann Philosophie studiert, die mir aber keine Lösung für meine Probleme gab. Als ich nach Deutschland kam, habe ich einen deutschen Guru gehabt  –  Martin Steinke  –, der dreißig Jahre in China gelebt hat und der in der Zendisziplin sehr gut orientiert war. Durch ihn habe ich erfahren, wo die Grenzen des Denkens liegen, was in der Musik gedacht werden kann und was nicht. Das ist der Weg des Zen. Ich kann nur sagen, ohne Zen hätte ich nicht dieses sonderbare Prinzip erlebt, daß im Anfang das Ende liegt. Musik ist nichts anderes als die Materialisierung dieses Prinzips."5
Wie intensiv die Beschäftigung Celibidaches mit dem Buddhismus war, zeigt auch ein Artikel, den er 1962 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfaßt hat, in dem er auf ein Buch seines Zen-Lehrers Bezug nimmt und sich aber auch mit dem Buddhismus im allgemeinen auseinandersetzt.

 
 
Quellen:
1) L.Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Personenteil Band 4, Artikel "Celibidache, Sergiu"
2) Sergiu Celibidache: "Über musikalische Phänomenologie", München 2001, Triptychon Verlag (nach dem Vortrag Celibidaches vom 21.Juni 1985 in München)
3) Gespräch mit dem Dirigenten Sergiu Celibidache, Süddeutsche Zeitung vom 28./29.06.1980
4) Sergiu Celibidache: Seminar "Phänomenologie der Musik", München 1994
5) Sergiu Celibidache: Aus einer Pressekonferenz anläßlich der Japan-Tournee mit den Münchner Philharmonikern im Oktober 1986, wie in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 13.10.1986 wiedergegeben.
 
 

Mathias Winkler

 
 
 
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